Die Natur hat nicht geschlossen !
Hätten wir einen ganz normalen Frühling, würde dieser Tage in der NWZ und der rasteder rundschau die NABU-Exkursion im Rasteder Schlosspark angekündigt: Vogelkundliche Wanderung durch den Schlosspark für Frühaufsteher. Am Sonntag, den 25. April um 6:30 Uhr würden sich die Teilnehmer am Denkmalsplatz treffen, um – wie in jedem Jahr – ein Frühlingskonzert unserer heimischen Singvögel zu erleben.
Aber dieser Frühling ist wie schon der letzte ganz anders. Es ist nicht mehr möglich, dass sich eine Gruppe von Vogelfreunden zusammenfindet, um den gefiederten Sängern zu lauschen und sich dazu fachkundige Erklärungen anzuhören. Dennoch: Die Natur hat nicht geschlossen und die Vögel treten auch unabhängig vom zuhörenden Publikum auf. Wie die Elbphilharmonie ohne Zuhörer.
Der NABU empfiehlt, sich das Konzerterlebnis für Frühaufsteher nun selbst zu organisieren. Am geöffneten Fenster, auf dem Balkon oder der Terrasse, vielleicht im eigenen Garten. Sänger sind fast überall zu finden: Auf Zäunen, Dachfirsten und Antennenmasten, in Bäumen und Büschen, in der Wiese oder auf Rasenflächen. Einige lieben hervorragende Plätze, wo sie sich zeigen können und von wo ihr Gesang sich gut ausbreitet.
Das Vogelkonzert beginnt schon deutlich vor dem Start der Wanderung um 6:30 Uhr – aus Rücksicht auf das Ausschlafen mancher Vogelfreunde am Sonntag so spät festgesetzt. Der selbst geplante Konzertbesuch dagegen lässt sich nach eigener Vorliebe einrichten. Erste Solisten beginnen, wenn es noch dunkel ist. Ständig gesellen sich dann weitere Arten hinzu, so dass schließlich ein vielstimmiger Chor erklingt.
Jede Vogelart hat bevorzugte Gesangszeiten, die sich nach der Tageshelligkeit richten. Bei Kenntnis des Sonnenaufganges (zurzeit gegen 6 Uhr) könnte man die Uhr nach den singenden Arten stellen. Das Ziffernblatt einer solchen Vogelstimmenuhr beginnt schon anderthalb Stunden vor Sonnenaufgang mit den Rotschwänzen. Nach einer halben Stunde folgen weitere Frühaufsteher wie Amsel, Singdrossel und Rotkehlchen, dann Zaunkönig, Zilpzalp, Buchfink und die Meisen. Eine viertel Stunde bevor die Sonne aufgeht, stimmen Sperling, Grünfink oder Star ein.
Der komplette Vogelchor ist sehr eindrucksvoll und es lohnt sich, eine Weile einfach zuzuhören. Der Anfänger wird allerdings Probleme damit haben, hier einzelne Solisten herauszuhören. Noch schwieriger wird es, die zugehörigen Vogelarten zu bestimmen. Üblicherweise hilft hier ja der Leiter der konventionellen NABU-Exkursion; der selbst organisierte Besuch im Vogelkonzert muss leider ohne ihn auskommen.
Deshalb folgen hier statt seiner Erklärungen drei wichtige Konzert-Tipps.
1. Stürzen Sie sich nicht gleich in das Stimmenchaos des ausgeprägten Vogelchors, sondern suchen Sie übersichtliche Situationen, in denen eine Vogelstimme in Ihrer Nähe ist. Viele Vogelarten haben Lieblingsplätze zum Vortragen ihres Gesanges, wo sie dann über längere Zeit gut zu hören sind. Eine Möglichkeit ist es auch, bereits im Dunkeln anzufangen.
2. Beginnen Sie mit einfachen, leicht wiederzuerkennenden Gesängen. Da gibt es einen kleinen grünlichen Laubsänger namens Zilpzalp, der bereitwillig nichts anderes als seinen eigenen Namen singt: „zilpzalp, zilpzalp ...“. Eintönig wie beim Kuckuck. Auf der nächsten Schwierigkeitsstufe folgen etwas komplexere, aber immer ziemlich gleiche Strophen – wie das „zizibäh“ der Kohlmeise oder der hohe Blaumeisentriller „zizi zirrr“. Auch die mit einem Schnörkel endende kraftvolle abfallende Strophe des Buchfinken ist immer ähnlich – im Volksmund „Fritze, Fritze, Fritze – willste Würzigbier?“. Eine andere Auffälligkeit zeichnet die Singdrossel aus, die jedes ihrer vielen kurzen Motive einige wenige Male wiederholt, ehe sie zum nächsten übergeht. Hilfreich ist, dass der Vogel gerne von einer Busch- oder Baumspitze aus singt.
3. Seien Sie nicht ungeduldig. Sobald Sie einige wenige Vogelarten mit zunehmender Verlässlichkeit erkennen können, werden Sie gespannt die Ohren spitzen, sobald Ihnen ein neuer Gesang begegnet. Dann ist es Zeit, sich auch schwierigeren Sängern zu widmen – wie Rotkehlchen, Mönchsgrasmücke oder Zaunkönig. Die Schlossparkwanderung wurde schon dann als Erfolg gewertet, wenn es am Ende mit zwei ungewohnten Vogelarten klappte. Ihre eigene Exkursion können Sie ja gleich am nächsten Tag fortsetzen.
Viele der Krise geschuldete Notlagen werden derzeit mit technischen Mitteln angegangen. Auch für die individuelle Vogelstimmenerkennung gibt es wirkungsvolle Hilfen – so etwas wie den digitalen Exkursionsleiter. Ein Spitzenprodukt ist die kostenlose Smartphone App BirdNET – sie bestimmt unter günstigen Bedingungen aus einer Tonaufnahme die singende Vogelart. Für eine Maschine ist das immer noch eine aufwändige Arbeit, die sich nicht auf dem Smartphone erledigen lässt. Per Internet wird der Gesangsausschnitt automatisch an einen mit mehr als einer Million Tonaufnahmen trainierten zentralen Computer gesendet, von dem dann das Ergebnis augenblicklich zurück kommt. Derartige Bestimmungen sind wertvolle Lernhilfen für den Beobachter.
Richtig in Erinnerung bleibt aber immer noch die eigene erfolgreiche Identifizierung eines singenden Vogels. Wenn der Sänger mit dem Feldstecher endlich ausfindig gemacht ist, heißt es, die Vogelart zu bestimmen. Neben traditionellen Feldführern empfehlen sich auch hier heutzutage Smartphone Apps wie die kostenlose NABU-App „Vogelwelt“, ein effektives digitales Bestimmungsprogramm, das auch viele wissenswerte Informationen über die Vögel bereithält. Für einen geringen Betrag gibt es als Erweiterung auch ein umfangreiches Archiv von Vogelstimmen, mit dem sich dann eigene Vermutungen überprüfen lassen. Auch für die Vorbereitung oder Aufarbeitung zuhause gibt es eine Vielzahl von Produkten; zum Beispiel die „Piepshow“ vom Kosmos-Verlag (Vogelführer und CD über die 50 wichtigsten Arten).
Einmal neugierig geworden, wird der Naturfreund mehr wissen wollen und sich zu spannenden Themen entsprechend schlau machen. Meist singen nur die Vogelmännchen und dann hauptsächlich im Frühling. Der Vogelgesang hat eine grundlegende biologische Bedeutung bei der Partnerfindung und beim Festlegen von Brutrevieren. Man hat aber auch festgestellt, dass Vögel aus reiner Freude singen können, andere Vogelarten oder künstliche Geräusche in ihr Programm aufnehmen – und sogar „Gesangsvereine“ bilden. Musikalische Ornithologen haben sogar mit Vögeln zusammen musiziert.
Der NABU-Rastede freut sich für 2022 wieder auf eine echte Schlossparkwanderung, wo auch über solche spannenden Fragen gesprochen wird. Bis dahin: Genießen Sie das selbstorganisierte Frühlingskonzert! Mit geschlossenen Augen ein Weilchen dem Vogelchor lauschen, die Welt vergessen – Singen (und Zuhören) macht Spaß!