Rastede, Kleibrok - Die „Bürgerinitiative Rastede - Kuhdorf, nein danke!“ lud zur Bürgerversammlung im Residenzhotel „Zum Zollhaus“ am 11.2.2014 ein. Der Anlass war, der interessierten Öffentlichkeit die Gelegenheit zu geben, sich anhand der vorgetragenen Argumente ein Meinungsbild bezüglich der geplanten Milchviehanlage mit 600 Kühen zu verschaffen
Podiumsteilnehmer sind:
Susanne Grube (Vertreterin - BUND)
Dr. Dörthe Henoch (Ärztin)
Ottmar Ilchmann (Vertreter Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - ABL)
Christian Meyer-Hullmann (Landwirt, Antragsteller der Milchviehanlage in Kleibrok)
Markus Penning (Vertreter - OOWV)
Moderation: Pastor Friedrich Henoch
Wie auch schon bei vorangegangenen Veranstaltungen der BI „Kuhstall, nein danke!“ war das Interesse mit rund 300 Teilnehmern wieder groß. „Die Teilnehmerliste und die vielen Zuhörer unterstreichen die Tatsache, dass es sich bei der Auseinandersetzung mit dem geplanten Objekt um ein Thema von derzeit höchster Brisanz für die betroffene Bevölkerung handelt“ betonte der Sprecher Dr. Thomas Neumann in seiner Einführung, bevor er das Wort an den Moderator Pastor Friedrich Henoch übergab.
Unter der Überschrift und Motto des Abends „Massentierhaltung - Quo vadis? Ist die industrielle Landwirtschaft noch sinnvoll?“ gibt Henoch zunächst einen Einblick in Ammerländer landwirtschaftliche Verhältnisse. Die industrielle Landwirtschaft mit der verbundenen Gewinnmaximierung sei ein neues Problem für diese Region. Das Ammerland habe durchaus noch gesunde Strukturen im Milchviehbereich. Jedoch seien Rückgänge von landwirtschaftlichen Betrieben von 50 % in den letzten 20 Jahren zu verzeichnen.
Christian Meyer-Hullmann (Landwirt-Antragsteller):
Als erster Redner erläutert Landwirt Christian Meyer-Hullmann sein Vorhaben, eine Milchviehanlage mit nunmehr 600 Tieren mit einem größeren Abstand zum Siedlungsgebiet zu errichten. Als sog. privilegierter* Landwirt möchte er mit seiner „Scholle“ durch derartige Erweiterungen unter Erfüllung aller Auflagen die Existenzsicherung seiner Familie ermöglichen. Er fühle sich nicht nur als Rasteder, sondern er wolle auch dafür Sorge tragen, dass die Nachbarschaft am Ortsrand einvernehmlich bleibt. Der Vorwurf, Flächen aufzukaufen, um damit andere Landwirte zum Aufgeben zu zwingen, sei nicht seine Absicht.
Eine bäuerliche Landwirtschaft wie früher sei heutzutage nicht mehr effizient und biete keine Arbeitsplätze. Die Marktgesetze und die Verteilung der Fördergelder gäben häufig die Entwicklung in der Landwirtschaft vor. Die Folge ist die Aufgabe kleinerer bäuerlicher Betriebe. Die Frage, ob er sich eine Bioproduktion vorstellen könne, verneint er u.a. mit der Begründung, dass Bioprodukte aufgrund des höheren Preises Ladenhüter blieben und regional keine Infrastruktur vorhanden sei.
In der Frage, ob ihm bewusst sei, dass durch die Errichtung einer weiteren riesigen Milchviehanlage ein Missverhältnis zwischen den bewusst überschussproduzierenden reichen Ländern und den immer ärmer werdenden Ländern der sogenannten Dritten Welt weiter beschleunigt werde, erkennt der Landwirt kein Problem. Er sieht in der Milch ein deutsches Qualitätsprodukt, das sich wie jede andere Exportware, auf dem Weltmarkt behaupten muss.
Markus Penning (Oldenburgisch-Ostfriesischer Wasserverband - OOWV):
Zu Themen der Trinkwasserqualität, Vermaisung, Gülledüngung, Nitratwerten im Boden und im Grundwasser erklärte Geologe Penning den Stand der Erkenntnisse. So ist im Verbandsgebiet eine deutliche Tendenz zu erkennen, dass Mais als einzige Pflanze auf dem Acker kein Grundwasserschutz beinhaltet. Bisherige Erfolge der letzten Jahre vor 2003 beim Grundwasserschutz wurden nachweislich durch Biogasanlagen und Maisanbau (für das EEG – Gesetz) zunichte gemacht.
Das Trinkwasser sei sicher, wurde mehrfach betont, aber wie lange es so bleibt, wird in Frage gestellt? Das neue Güllekataster würde ein Schritt in die richtige Richtung sein, damit eine Überdüngung von hofnahen Flächen nahezu ausgeschlossen werde.
Das Argument, dass die Nitratbelastung des Grundwassers aufgrund der auf die Grünflächen im Umkreis des geplanten Milchviehstalles nur deshalb für die Rasteder nicht konkret relevant ist, weil in diesem Gebiet aus dem Grundwasser kein Trinkwasser gewonnen wird, ist in einer Nachbetrachtung eine sehr bedenkliche Ansicht.
Dr. Dörthe Henoch (Ärztin):
Neben MRSA (Multi Resistenter Staphylokokkus Aureus) in Krankenhäusern (HA-MRSA) findet sich zunehmend ein spezifischer MRSA-Stamm in der Massentierhaltung (LA-MRSA). Dazu erklärt Dr. Henoch, dass dieser antibiotikaresistente Keim zwar in der Milchviehhaltung noch nicht so häufig wie in der Schweinehaltung (ca.70%) und Putenhaltung (ca. 90%) nachzuweisen sei, jedoch mit immerhin 17 % zu Buche schlage. Dieser in der Massentierhaltung anzutreffende Keim sei auf Menschen übertragbar, so dass inzwischen bis zu 86% der Landwirte (in MRSA positiven Betrieben) mit direktem Tierkontakt Keimträger seien.
Der Antibiotikaeinsatz in der Massentierhaltung liege in Deutschland mit 1700 Tonnen pro Jahr 40-mal höher als der Antibiotikaverbrauch in allen deutschen Krankenhäusern.
Anm. d. Red.: Als Reaktion auf den Bericht von der Veranstaltung in der NWZ hat Frau Dr. Henoch einen hier nachzulesenden Leserbrief geschrieben.
Susanne Grube (BUND Ammerland):
Die Position des Naturschutzes wird von Susanne Grube anschaulich dargestellt. Insekten und Kleinlebewesen leiden unter der Monotonie der Landschaft und der intensiven Bewirtschaftung unserer Wiesen und Felder. Vögel leiden als Folgeerscheinung des schwindenden Nahrungsangebotes besonders, so werden beispielsweise seit Jahren Rückgänge der Kiebitze verzeichnet.
Das Landschaftsbild des Ammerlandes hat seinen Reiz und ist geprägt durch die Weidehaltung. Weidegang der Rinder ist gerade unter Naturschutzaspekten die natürlichste Lebensform.
Ottmar Ilchmann (Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - AbL):
Ilchmann referierte mit Weitblick und setzt Meyer-Hullmann entgegen, dass die Milchproduktion in Deutschland keinesfalls kostendeckend ist und durch vielfache versteckte Subventionen erst zu einem Geschäft für die Branche wird. Agrardiesel, Stilllegungsquoten, AfP - Maßnahmen zur Gebäudefinanzierung, aber auch Biogasförderprogramme, um nur einige zu nennen, zeigen, dass Milch hierzulande teuer mit Hilfe des Steuerzahlers produziert wird. Landwirte können bei den heutigen Bedingungen in eine Schuldenfalle geraten, wenn Abhängigkeit zu den Banken wegen hoher Kredite entsteht und die Familie nicht mehr Mithilfe einbringen kann. Viel Kritik wird am derzeitigen Geflecht aus Kraftfutterproduzenten, Berufsverbänden, Molkereien, EU-Förderrichtlinien, Landwirtschaftskammern und Landwirten geübt.
Die im Anschluss an die Vorträge an Pastor Henoch gerichtete Frage bezüglich der Haltung zur Verwendung von Wärme aus der Biogasproduktion fällt besonders ins Gewicht: Die Kirche lehne die Produktion von Energie aus Lebensmitteln (wie hier aus Mais) ab. Die Äcker sollten global zur Nahrungsmittelproduktion verwendet werden. Mehrgliederige Fruchtfolgen sind anzustreben, um einer Verödung zu entgehen. So hat der Gemeindekirchenrat der evangelischen Kirche in Rastede seinerzeit nach ausführlicher Diskussion beschlossen, keine Wärme für die Kirche in Wahnbek aus der Biogasanlage vom Landwirt Meyer-Hullmann zu beziehen. Mit dieser umweltfreundlichen Politik übernimmt sie somit eine Vorbildfunktion.
18.07.2013: Auf einer Bürgerversammlung gegen einen geplanten Milchviehbetrieb mit beinahe 1000 Kühen am Rasteder Ortsrand ist am 18.7.2013 eine Bürgerinitiative unter großer Anteilnahme der Bevölkerung gegründet worden. Die weit über 200 anwesenden Bürger sprachen sich für eine BI-Gründung aus, um damit den Widerstand gegen das Bauvorhaben durch den Großagrarier Christian Meyer-Hullmann öffentlich verankern und forcieren zu können. Ziel ist die Verhinderung des Mega-Kuhstalls und den damit verbundenen Folgen durch gesundheitsschädliche Geräusch- und Geruchsemissionen sowie durch Schadstoffeinträge in Wasser und Boden. Über diese unmittelbare Betroffenheit hinaus spricht sich die BI grundsätzlich gegen Massentierhaltung aus, unter der bekanntermaßen Tier, Mensch und Umwelt massiv leiden. Mit Rat und Tat stehen u. a. auch VertreterInnen des Naturschutzbundes (NABU) und des BUND dem Leitungsgremium zur Seite.
29. Juli 2013: Rastede, Rathaus - Um ihren Protest gegen den geplanten Rinderstall mit 918 Kühen auszudrücken, hatte die
Bürgerinitiative „Kuhdorf – Nein, danke!“ am Nachmittag des 29. Juli 2013 zu einer Kundgebung auf dem Vorplatz des Rathauses aufgerufen. Während der nicht öffentlichen Verhandlungen zwischen
Vertretern der Genehmigungsbehörden und dem Investor im Rathaus, protestierten weit mehr als 400 Gegner (Bericht und weitere Fotos s. auch hier)
gegen die Planungen der größten Massentierhaltungsanlage im Ammerland.
Der Kreativität an Plakaten von Jung und Alt waren keine Grenzen gesetzt. Mittlerweile ist die Anzahl der Unterzeichner auf den Unterschriftenlisten seit dem Bekanntwerden des Vorhabens in der
Öffentlichkeit vor genau drei Wochen auf rund 3000 (!) angestiegen.
09.08.2013: Nachdem die Rücknahme des Genehmigungsantrags für 918 Milchkühe bekannt geworden war, appelliert die Bürgerinitiative in einem offenen Brief an die Ratsmitglieder, die Zustimmung zu einem angekündigten reduzierten Antrag auf einen Stall mit 592 Milchkühen unter Berücksichtigung der Bedenken vieler Rasteder Bürger und des Betreibers des Zollhauses Kleibrok noch einmal zu überdenken.
November 2013:
Wie aus Ratskreisen kolportiert wird, bemüht sich Herr Meyer-Hullmann um Gespräche mit verschiedenen Ratsfraktionen. Dabei soll es in einer Planänderung um eine Verlagerung des Kuhstalles wenige hundert Meter weiter östlich ins Moor gehen. Offenbar erhofft er sich damit eine breitere Zustimmung im Gemeinderat und bei den Bürgern. Das allerdings ist bei Letzteren eher unwahrscheinlich.